Diversity ist kein Hype-Thema
Martin Krill sitzt als CEO der auf Executive Search spezialisierten Unternehmensberatung Hager häufig mit am Tisch, wenn in Deutschland Führungspositionen neu besetzt werden. Im Interview spricht er darüber, warum es sich für Firmen lohnt, wenn sie „ihren Suchradius erweitern“.
Herr Krill, warum engagiert sich die Hager Unternehmensberatung für Diversität?
Wir haben auf dieses Thema eine Innen- und eine Außenperspektive. Diverse Teams funktionieren besser. Davon sind wir bei Hager fest überzeugt. Sie sind erfolgreicher und erzielen einen höheren Output. Unsere Unternehmenskultur gewinnt dadurch insgesamt, und auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind zufriedener. Gleichzeitig wird das Thema zunehmend von außen an uns herangetragen. Diversity hat bei immer mehr Unternehmen in den letzten Jahren einen höheren Stellenwert gewonnen.
Zu unseren Kunden zählen große internationale Unternehmen. In den USA beispielsweise steht das Thema schon länger auf der Agenda als in Deutschland. Diese Mandanten verlangen von uns, dass wir ihnen eine ausgewogene Mischung an Kandidatinnen und Kandidaten mit unterschiedlichen Hintergründen vorschlagen.
Und bei deutschen Unternehmen?
Tatsächlich ist die größte Herausforderung, dass hierzulande das Thema bei vielen Entscheidern noch nicht so angekommen ist.
Sie haben das selbst kürzlich in einer Befragung ihrer Kunden festgestellt. Der Tenor: Fast alle Firmen erkennen zwar die Wichtigkeit des Themas. Aber die wenigsten ziehen daraus Konsequenzen und verfolgen eine klare Diversitäts-Strategie. Warum ist das so?
Diversity ist zwar in den letzten Monaten als Thema sehr präsent. Aber viele Unternehmen nehmen dies eher als Hype-Thema wahr – und nicht als Chance auf einen echten Mehrwert. Dass aus diversen Unternehmenskulturen viele Vorteile resultieren, ist noch nicht überall angekommen.
Wie würden Sie diese Vorteile beschreiben?
Die sind ja vielfach belegt. Die Studie von Global Digital Woman in Zusammenarbeit mit der Europa-Universität Flensburg etwa zeigt klar, dass Diversität auf die digitale Kompetenz von Unternehmen abstrahlt. Firmen, in denen mehr Frauen in Führungspositionen sind, werden als digital kompetenter eingestuft. Außerdem sind diese Unternehmen wettbewerbsfähiger.
Und das sind ja Kernthemen bei der Besetzung von Führungspositionen.
Als Unternehmens- und Personalberater haben Sie unmittelbar damit zu tun. Wie gehen Sie denn damit um, wenn ein Mandant doch eher eine Position mit einem „weißen Mann“ besetzen möchte?
Am Ende geben die Kunden die Zielsetzung vor. Aber wir verstehen uns als Trusted Advisor unserer Kunden. Das heißt: Wir agieren auf Augenhöhe und geben klare Einschätzungen, wie wir den Markt sehen. In so einem Fall würden wir raten, den Scope des Suchfeldes zu erweitern. Wir zeigen die Mehrwehrte auf, die entstehen, wenn man nicht nur auf das altbekannte Suchprofil setzt. Und unser Ziel ist, eine Shortlist von Kandidaten zu präsentieren, in denen sich Diversität widerspiegelt.
Bei manchen Kunden scheint das allerdings schwierig. Sie haben unlängst in einem Beitrag über die klassischen „Old-Boys-Netzwerke“ geschrieben, die „bei Neubesetzungen lieber ihren Buddy aus dem Golfclub positionieren als eine Bewerberin mit Migrationshintergrund“. Gelingt es Ihnen in solchen Fällen, mit Beratung etwas zu verändern?
Wir sehen sehr wohl, dass viele Positionen über genau diese Netzwerke besetzt werden. In solchen Fällen sind wir aber in der Regel gar nicht im Boot. Werden wir aber hinzugezogen, bringen wir weitere Kandidatinnen oder Kandidaten ins Spiel. In einigen Fällen haben wir damit auch Erfolg.
Ein sehr häufiges Argument im Recruiting lautet: es gibt zu wenig weibliche Bewerberinnen – wahlweise Bewerber mit Behinderung oder von Menschen mit internationalen Wurzeln. Wie sehen Sie das?
Dieses Argument stimmt nur bedingt. In Branchen wie IT- und Software gibt es zwar ein Übergewicht an männlichen Bewerbern. Aber das liegt in vielen Fällen auch an nicht passenden Arbeits-Formaten. Sehr häufig werden zum Beispiel Positionen so konzipiert, dass es insbesondere Müttern schwerfällt, Arbeit und Familie miteinander zu vereinbaren. Oder es werden deutsche Sprachkenntnisse verlangt, obwohl die Arbeitssprache in den Technologie-Branchen ohnehin Englisch ist. Andere Firmen suchen explizit nach Menschen, die in ihrer Region verwurzelt sind. Wenn man den Suchradius erweitert und die Arbeitsformate verändert, kann man sehr wohl Kandidaten mit unterschiedlichen Hintergründen finden.
Im Vergleich zu anderen Industrienationen gibt es in Deutschland deutlich weniger Frauen oder Menschen mit internationalem Hintergrund im Top-Management. Sie beraten als Partner der internationalen Beratungsfirma Horton auch internationale Kunden. Wie erklären Sie diese Unterschiede?
Nur ein Viertel der deutschen Unternehmen hat überhaupt eine Diversity-Richtlinie. In den USA oder in Großbritannien sind es drei Viertel. Das hat auch historische Gründe. Das Thema wurde dort sehr viel früher als wichtig identifiziert. In Deutschland diskutieren wir etwa seit den 90er Jahren über Diversity in dem Verständnis von mehr Vielfalt. In den USA liegt der Ursprung bereits in der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre. Aber auch Deutschland wird zunehmend diverser. Dafür sorgen nicht zuletzt die Globalisierung und die zunehmende Migration. Die Notwendigkeit, hier aufzuholen und nachzubessern, steigt.
Sie sagen in Ihrem Beitrag, dass Diversity ein Kulturthema ist. Wie gelingt der Kulturwandel in den Konzernen?
Kultur ist ein Prozess. Es ist nichts, was man so einfach von oben nach unten verordnen kann. Unternehmenskultur muss gelebt und natürlich auch vom Management vorgelebt werden.
Was machen Sie dafür konkret bei Hager?
Wir haben ein Equality-Netzwerk ins Leben gerufen, um das Thema auch innerhalb der Hager Unternehmensberatung weiter zu forcieren. Der Gedanke dahinter ist zum einen, das Thema stärker in die Köpfe zu bringen. Wir erarbeiten im Rahmen dieser Initiative Leitlinien. Mit dem Begriff wollen wir ausdrücken, dass es uns um alle Aspekte von Diversität geht. In diesem Rahmen bringen wir gezielt Mitarbeitende mit unterschiedlichen Hintergründen, unterschiedlichen Alters und aus verschiedensten Unternehmensbereichen zusammen, um den Austausch untereinander zu fördern. Wir nennen das Tandem-Mentoring. Wir wollen mit diesen Maßnahmen die Kulturveränderungen anstoßen und so die Potenziale von Diversity im eigenen Unternehmen erschließen.
Sehen Sie die Gefahr, dass Unternehmen nun sagen, wir haben in der Corona-Krise drängendere Themen als uns um Diversität zu kümmern?
Das glaube ich nicht. Unmittelbar nach dem Ausbruch der Pandemie mag das Thema medial kurzzeitig ins Hintertreffen geraten sein. Aber Unternehmen, die dieses Thema vorher auf ihrer Agenda hatten, haben es dort nach wie vor. Und bei Unternehmen, die es bislang weniger im Fokus hatten, fällt es auf zunehmend fruchtbaren Boden. Wir haben dazu einen recht guten Einblick aus unseren regelmäßigen Gesprächen mit unseren Mandanten. Diversity ist eben kein Hype-Thema sondern ein Instrument, das Firmen hilft, besser und erfolgreicher zu werden.