Großinvestoren könnten noch mehr tun
Diversität wird immer mehr zum Kriterium auf dem Kapitalmarkt. Finanzstarke Großinvestoren pochen auf mehr Vielfalt in den Aufsichtsräten und Vorständen. Doch nutzen die Kapitalgeber wirklich alle Möglichkeiten, um Einfluss auf deutsche Unternehmen auszuüben? Die Antwort ist: Jein. Einerseits verlangen immer mehr institutionelle Anleger mehr Vielfalt. Aber es gibt auch noch einigen Nachholbedarf.
Dies ist das Fazit einer aktuellen Studie eines Expert:innen-Netzwerks der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR). Die Autorinnen Philine Sandhu und Daniela Heyer stellten beim jüngsten Think Tank des Impact of Diversity die Ergebnisse vor. „Der Trend“ sei grundsätzlich positiv“, stellt Sandhu, Wirtschaftswissenschaftlerin an der HWR fest. „Die Investoren haben das Thema erkannt und arbeiten daran.“ Am Ziel sei man indes noch nicht – und das liege auch am deutschen Corporate Governance-System.
Sandhu und Heyer, Finanzexpertin und CFO des Erdgas-Speicher-Unternehmens Storengy Deutschland, haben in ihrer Untersuchung den Anspruch und Wirklichkeit bei den 30 größten in Deutschland aktiven institutionellen Investoren verglichen. Stimmen sie auf Hauptversammlungen tatsächlich so ab, wie es ihre eigenen Diversity-Richtlinien vorsehen? Laut Studie machen dies nur etwa die Hälfte. 52 Prozent dagegen nutzen ihre Stimmrechte entweder gar nicht oder sie votieren gar entgegen ihrer eigenen Richtlinien.
Fehlende Informationen
Dies liegt auch an den Besonderheiten des deutschen Unternehmens- und Aktiensystems. Investoren hätten hierzulande im internationalen Vergleich „eine geringere Bandbreite an Einflussmöglichkeiten“, erklärt Heyer. So bleibe Aktionären hierzulande oft nur die Möglichkeit, einen Aufsichtsrat nicht zu entlasten „Dieses Instrument wird oftmals gar nicht verstanden und verkannt“, sagt Heyer. Gleiches gelte für das deutsche dualistische Board-System mit seiner Aufgabenteilung von Vorstand und Aufsichtsrat. Hier gebe es oft „eine falsche Vorstellung, wer für was zuständig ist“.
Investoren fehlten hierzulande zudem häufig Informationen über die Unternehmen und ihr Spitzenpersonal. Das liege oft an „fehlenden einheitlichen Mindestveröffentlichungspflichten zu den Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat und an mangelnder Transparenz“, stellt Heyer fest. Für Investoren sei des deshalb „oft schwierig“, sich überhaupt ein Bild zu machen. Nachvollziehbar sei lediglich die Verteilung nach Geschlecht in den Aufsichtsräten und Vorständen. Dies sagt wenig über die Veränderungsfähigkeit des Unternehmens aus. Zu anderen Diversitäts-Dimensionen gebe es zudem kaum Informationen.
Hier sollte der Gesetzgeber handeln, meinen Sandhu und Heyer. Er sollte die „diversitätsbezogenen Offenlegungspflichten vereinheitlichen und vereinfachen. Den Investoren empfehlen sie, „ihre Zielerwartungen möglichst konkret zu formulieren“ und dabei „auch die Besonderheiten des deutschen dualistischen Systems zu berücksichtigen“. Die Unternehmen schließlich müssten sich darauf einstellen, mehr und mehr mit Investoren-Erwartungen zum Thema Vielfalt konfrontiert zu werden. Sie sollten von sich aus „ein Diversitätszielbild entwickeln“, empfehlen die Studienautorinnen.
Anleger greifen kaum „ernsthaft ein“
In der Diskussionsrunde des Think-Tanks wurde der Befund der Studie bestätigt. „Von den internationalen Investoren kommt ein zunehmender Druck bei Diversitätsfragen“, stellt Michael Jaap, Head of Diversity & Inclusion beim Personalberatungsunternehmen Hays fest. Allerdings vermisst auch sie Informationen zu allen Diversitäts-Dimensionen. „Die Targets sind noch rein genderbezogen.“
Renate Prinz, auf M&A spezialisierte Anwältin bei McDermott Will & Emery sieht die institutionellen Anleger noch nicht als Treiber in der Vielfalts-Frage. „Ich habe noch nicht erlebt, dass ein Investor ernsthaft eingegriffen und versucht hat, seine Möglichkeiten auszuschöpfen.“
In erster Linie sind es die Unternehmen selbst, die von sich aus Initiativen starten. Ein Beispiel dafür lieferte Anka Roeglin, Project Manager & Diversity Champion bei Intel. Der Halbleiterhersteller habe sich konkrete Zielvorgaben gegeben, um den Konzern vielfältiger zu machen. „Wir wollen alle Diversity- und Inclusion-Dimensionen abdecken“, erklärt Roeglin. So gebe es unter anderem das Ziel, dass bis 2030 die Anzahl der Mitarbeiter mit Behinderung auf 10 Prozent der Belegschaft erhöht werden solle. Der langjährige transparente Umgang mit Blick auf die Unternehmensverantwortung werde auch in Intels aktuellem Corporate Social-Responsibility-Bericht deutlich, so Roeglin. Er adressiere gleichermaßen Erreichtes aber auch anspruchsvolle Ziele.