Think Tank: Frauenkarrieren in der Männerdomäne
Aus unseren Analysen mit dem Frauen-Karriere-Index wissen wir, dass Frauenkarrieren zumeist an den gleichen Stellen in Unternehmen gelingen oder scheitern und dies unabhängig von Branche und Unternehmensgröße. Häufig ausschlaggebend, wie schnell ein Unternehmen in seiner Entwicklung Richtung Gender Diversity und Führungsgerechtigkeit vorankommt, ist jedoch die Ausgangslage. Diese basiert auf der Frage: Wie viele Frauen arbeiten bereits im Unternehmen? Und wie ermöglichen wir den wenigen Frauen den Zugang zu den Führungspositionen?
Dies war Diskussionsgrundlage des Think Tanks des Impact of Diversity mit dem Thema „Frauenkarrieren in männerdominierten Unternehmen“ in Kooperation mit MTU Aero Engines und der Linguistischen Unternehmensberatung.
Die MTU als Unternehmen mit einem geringen Frauenanteil hat sich bereits intensiv mit dem Thema beschäftigt und erste Erfolge erzielt. Der Personalleiter Hans-Peter Kleitsch berichtet von der verzwickten Ausgangslage des Turbinenherstellers: „Wir haben 2020 ca. 50% Frauen in Deutschland, nur 12% von den Maschinenbauabsolvent:innen sind weiblich und dann benötigen wir eine Spezialisierung auf Turbomaschinen, was die Prozentzahl nochmals drastisch sinken lässt. Da kommen wir in der aktuellen Situation nicht drum herum international zu headhunten.“ Doch Hans-Peter Kleitsch nimmt diese Situation nicht einfach als gegeben hin, sondern arbeitet aktiv daran, den Frauenanteil der MTU hochzufahren. Seine Strategie ist „die Grundgesamtheit der Frauen nach und nach zu steigern, um so einen Topf für Frauen in Führung zu generieren“. Eine bewährte Maßnahme ist hierbei 60% der Traineestellen mit jungen Frauen zu besetzen und die Mädchen in der Ausbildung in bestimmten Abteilungen zu sammeln, damit eine „kritische Masse erreicht wird und Ansprechpartnerinnen vorhanden sind“. Zudem muss immer eine Frau für eine vakante Führungsposition diskutiert werden.
Standardaktionen zeigen so gut wie keinen Effekt
Die Think Tank-Teilnehmer:innen sind sich einig: Standardaktionen wie der seit 20 Jahren etablierte Girls Day hat so gut wie keinen Effekt im Recruiting von mehr Frauen in MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik). Barbara Lutz, Host des Think Tanks, erklärt aus ihren mehrjährigen Analysen des Frauen-Karriere-Index: „Was aber tatsächlich sehr gut wirkt ist die frühe Ansprache in Form von Schulen und Universitäten. Das zahlt sich in der Effizienzbewertung wirklich aus, weil es die jungen Frauen frühzeitig für ein Thema öffnet, was sonst auf einer sozialen und medialen Ebene gar nicht wirklich nahegebracht wird.“
Dabei muss man laut Brigitte Zypries, der ehemaligen Bundesministerin für Justiz sowie Wirtschaft und Energie, rechtzeitig einschreiten, da Studien belegen, dass Mädchen im Alter von zehn bis zwölf Jahren noch für MINT offen sind, erst in der Pubertät bricht das Interesse ein. Dabei ist es ihr wichtig, das Potenzial dem deutschen Arbeitsmarkt verfügbar zu machen. Denn viele Unternehmen haben nicht nur das Problem keine Frauen zu finden, sondern überhaupt genügend Fachkräfte.
Welche Faktoren beeinflussen die Berufswahl?
Brigitte Zypries gibt an, dass es vor allem gesellschaftliche Faktoren sind, die einen Shift im Rollenbild von Frauen benötigen. Sowohl die Eltern seien gefragt, ihren Mädchen das Gefühl zu geben, dass sie sehr wohl in technische Berufe gehen können als auch die Schulen und medialen Vorbilder. Dies sind große gesamtgesellschaftliche Aufgaben in Deutschland. Konkrete Ansatzpunkte seien etwas am Image und den Zukunftschancen von solchen Berufsfeldern zu drehen. Sie sagt: „Wir haben seit 20 Jahren den Girls Day, aber wir haben in der Politik nicht geschafft wirklich Grundlegendes zu verändern in den Bereichen, die wir gestalten können“.
Maßnahmen müssen von Politik und Unternehmen ergriffen werden
Mit einem Corporate Governance Kodex wurde auf die Unternehmen lange Zeit zugegangen, um Veränderungen auf freiwilliger Basis in den Strukturen voranzutreiben, aber nichts sei passiert. Sie ist der Meinung, dass es oft nur mit „harten Maßnahmen“ geht. Man sehe, dass die Frauenquote für Aufsichtsräte wirke und die Parteien, die ein klares Quotensystem haben, auch diejenigen sind, die einen vernünftigen Frauenanteil im Bundestag besetzen.
Neben Quoten sieht sie eine Chance in weiteren Regelungen von Seiten der Politik sowie den Hebel in Unternehmen, die ihre Personalarbeit gut aufstellen sollten. Dabei ginge es um die Punkte: von oben nach unten zu schauen, wie ist die Verteilung in den Arbeitsbereichen, Positionen und Gehaltsgruppen. Und von unten nach oben zu schauen: Was wollen die Mitarbeitenden im Unternehmen eigentlich? Insbesondere die Frauen? Stichwort Vereinbarkeit Familie & Beruf, Remote Work, etc. Und ganz wichtig sei: die Männer ins Boot zu holen als Verbündete der Frauen. Eine bereits beachtliche Wirkungsmöglichkeit hierfür: „Men-Only-Panels“ zu boykottieren.
Der IOD als Inspiration für innovative Diversity-Konzepte
Neben den schon laufenden Maßnahmen in der MTU ist Hans-Peter Kleitsch immer auf der Suche nach neuen Impulsen und „richtig innovativen Konzepten“ im Bereich Diversity. So stellt er heraus, dass ihm der diesjährige Impact-of-Diversity-Award einen riesigen Fundus an bewährten Diversity-Konzepten in Unternehmen und von Initiativen bereitgestellt hat, aus dem sein Team nach gründlicher Analyse für die MTU relevante und wirkungsvolle Maßnahmen abgeleitet hat. Dabei ist es ihm wichtig, dass die Maßnahmen zur Unternehmenskultur passen und einen echten Impact erzeugen.
Die Stellschrauben Unconscious Bias und Sprache
Als wichtiges bewusstseinsbildendes Instrument wurden in der Runde die Unconscious Bias Trainings diskutiert, die für unbewusste Vorurteile sensibilisieren sollen. Eva Faenger, verantwortlich für Inclusion & Diversity bei Hewlett Packard Enterprise DACH berichtet: „Inclusive Behaviour ist fest in unserer Unternehmenskultur verankert. Unser Anspruch ist, bedingungslos inklusiv zu handeln und da wo es uns nicht gelingt aufzusprechen und für sich selbst und andere einzustehen. Da ist es entscheidend, dass sich jeder in unserem Unternehmen mit Unconscious Biases auseinandersetzt, eine der größten Hürden für Inclusion. Alle Führungskräfte durchlaufen weltweit als Teil ihrer Führungsverantwortung das Inclusive Leadership Training, das ihnen u.a. Wege aufzeigt, wie sie den Dialog zum Thema in ihren Teams fortsetzen. Unterstützend wurden in diesem Jahr auch alle Mitarbeitenden weltweit mit dem Training „Inclusion for All“ eingebunden.“ Sehr wirkungsvoll sei auch die „#1Bias Video Campaign“ gewesen, die Erfahrungen der Mitarbeitenden festgehalten hat: welche Unconsious Biases haben sie erlebt, wie haben sie sich dabei gefühlt und was würden sie sich in dieser Situation zukünftig anders wünschen. Die Videos waren so wirkmächtig, dass ein unerwartet starker Dialog zustande gekommen sei, der den nächsten Schritt ermöglicht: wo gibt es in unseren Strukturen noch Biases?
Noah Fleischer, COO und CIO der Linguistischen Unternehmensberatung und in Vertretung von Dr. Simone Burel, der Preisträgerin in Female MINT Performance, betont nochmal die Sonderstellung Deutschlands in diesem Kontext. Viele europäische Länder seien da viel weiter. Sein Augenmerk liegt auf der Stellschraube Sprache. Allein mit Studiengangs- und Berufsbezeichnungen könne man richtig viel bewirken. So zieht nachweislich Ingenieurinformatik viel weniger Frauen an als der Titel Medizininformatik. Inhaltlich seien die Themen gar nicht so unterschiedlich, aber die Wirkung der Sprache ist immens. Ein weiterer Schritt sei das Empowerment der Frauen. Immer wieder herauszustellen: Ja, Frauen können Informatik. Die festgestellt tendenziell größeren Selbstzweifel der Frauen sind kein reines Geschlechtsthema, sondern kommen aus der unterschiedlichen Sozialisierung von Mann und Frau. „Die bescheidene Frau ist immer noch ein mustergültigeres Bild als der bescheidene Mann.“
Weitere erfolgreiche Maßnahmen
Typisch männliche Attribute in Stellenausschreibungen vermeiden, auf die Informationskanäle gehen, wo junge Frauen sind und dort gezielt Gegenbilder zum typischen Frauenbild zu setzen sowie Events für Frauen, wie KI-Hackathons zu veranstalten, in denen sie sich ausprobieren und Begeisterung für Technologie entwickeln können.
Inga-Lena Darkow, Managerin und Leiterin des globalen Frauennetzwerkes WoMen in Digital von der BASF, sagt dazu: „Mit solch einem Empowerment-Programm wird Frauen schnell bewusst, dass es nicht reicht nur gut zu arbeiten und dann wird alles andere passen, sondern dass es heutzutage noch Selfbranding, Selfmarketing und Formulierungen braucht, die in einem männerdominierten Umfeld funktionieren, um in diesen Strukturen voranzukommen.“
Zuletzt bringt Katharina Baumann, Managerin bei MHP – A Porsche Company, noch einen wichtigen Punkt ein. „Es wird viel getan, um Frauen in Führungspositionen zu bekommen. Was aber oft vergessen wird: man will die Frauen ja auch behalten, damit sie z.B. auch nach der Elternzeit wieder weiter durchstarten. Da gibt es bei MHP einfache Bindungsmaßnahmen. In der Elternzeit kann man sein IT-Equipment behalten, wird zu Team-Events eingeladen und kann Schulungen besuchen. So fühlt sich eine Elternzeit nicht wie eine Kündigung an.“
Vielen Dank an die Vertreter:innen von Audi AG, BASF SE, BMW Group, Collins Aerospace, Concordia Versicherungen, Dassault Systèmes Deutschland GmbH, Deutsche Bahn AG, DKV Mobility, Fujitsu Technologie Solutions, Gebrüder Weiss (GW World), Hewlett Packard Enterprise, High Tech Gründer Fonds, Intel Deutschland GmbH, Jenoptik AG, LUB Linguistische Unternehmensberatung, MHP – A Porsche Company, MTU Aero Engines, ÖBB Österreichische Bundesbahnen, Porsche AG, Roche AG, SWM Stadtwerke München, A1 Telekom Austria Group, UNIQA Group.
Wir freuen uns auf den Follow-up Think Tank im Herbst!