Warum Digitalisierung und Diversität zusammengehören
Im vierten Think Tank – präsentiert vom Digital-Beratungsunternehmen Accenture – ging es um die Wechselwirkungen von Diversität, Digitalisierung und Innovation. Die These: Digitalisierung kann ein wichtiger Motor sein – allerdings muss man ihn auch richtig einsetzen.
Innovation, Digitalisierung – und Diversität: drei Dinge, die eng miteinander zusammenhängen. Diese Wechselwirkungen zu beschreiben und sich über Praxisbeispiele auszutauschen, war das Ziel des von Accenture präsentierten Think Tanks des Impact of Diversity. „Es geht darum, eine Zusammenarbeitskultur zu kreieren, die uns hilft, das Beste zu erreichen“, umriss Accenture-Partner Jan Ising in seiner Begrüßung das Thema.
Eine moderne digitale Infrastruktur kann auf dem Weg zu einer vielfältigen Unternehmenskultur viel bewirken – aber sie kann auch ungewollte Hürden und Probleme schaffen. In der Corona-Pandemie arbeiten immer mehr Menschen remote über Videokonferenzsysteme und Online-Tools. Hier gilt es, genau hinzusehen und Dinge zu hinterfragen, betonte Sabine Sommer, Coach beim auf Diversity-Themen spezialisierten Netzwerk Diversity Works. „Digitale Barrierefreiheit zu erreichen, kann heute sehr herausfordernd sein.“

Die Verlagerung des sozialen und des Arbeitslebens in Online-Räume könne bestimmte „Sub-Gruppen“ derzeit zusätzlich benachteiligen, betonte Sommer. Betroffen davon seien etwa Menschen mit schwacher Internet-Infrastruktur, wenig technik-affine Personen und Personen, die den Umgang mit dem Computer nicht oder erst spät im Leben gelernt haben. Wie immer gilt, Neues zuzulassen benötigt Überwindung und die haben nicht alle im gleichen Maße. Manche Menschen wollen oder können sich zudem „in diesen virtuellen Räumen weniger gut präsentieren“. So könne es schnell zu Benachteiligungen kommen, die den im virtuellen Raum sich wohl fühlenden Teilnehmenden nicht bewusst sind.
„Unconscious Bias“ sind eine Hürde
Dabei sei die Frage der digitalen Barrierefreiheit zudem eng verknüpft mit so genannten „Unconscious Bias“. Die unbewussten Prägungen können dazu führen, dass Menschen ungewollt ausgeschlossen werden – oder sich zurückziehen. „Manche merken, dass ihnen weniger Kompetenz zugesprochen wird. Andere sagen selbst über sich: ich bin nicht technik-affin.“
„Unconcious Bias hat im Prinzip jeder Mensch“, meint Lukas Kahwe Smith. Der Mit-Gründer des Sprachsoftware-Startups Witty Works rät zu einem reflektierten Umgang damit. „Jede Person ist auf gewisse Weise voreingenommen und handelt unterbewusst. Das ist zunächst einmal auch nichts Schlechtes. Wäre es anders, würden wir beim Überqueren einer Straße überfahren, wenn wir erst einmal bewusst darüber nachdenken müssten, wenn wir ein lautes Geräusch hören.“
Smith und sein Team haben eine Software entwickelt, die Unternehmen dabei helfen soll, nicht mehr ungewollt in die Vorurteils-Falle zu tappen. Das Witty Works-Tool „Diversifier“ unterstützt Firmen dabei, ihre Stellenausschreibungen besser und inklusiver zu formulieren. „Stellenausschreibungen werden heute immer noch so geschrieben, dass sie etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung ausschließen“, stellt Smith fest. „Vereinfacht gesagt: sie richten sich vor allem an Jungs mit weißer Hautfarbe“.
Ein Problem dabei seien die bereits von Sommer beschriebene Hürden, die sich auch in den Köpfen der marginalisierten Gruppen festgesetzt hätten. Das führe dazu, dass sich Angehörige von Minderheiten gar nicht erst bewerben. „Sie antworten auf solche Stellengesuche nur, wenn sie mindestens 90 Prozent der Anforderungen erfüllen“, sagt Smith. Männer aus dem Mainstream dagegen reichen oft schon 40 Prozent, um eine Bewerbung zu schreiben.
Wechselspiel von Innovation und Digitalisierung
Der Diversifier identifiziert bestimmte Schlüsselbegriffe und schlägt sprachliche Alternativen vor. Grundlage hierfür ist eine umfassende Analyse der besagten „Unconscious Bias“. Manche Formulierungen wie „du bist ein Goalgetter“ oder „du bist extrem analytisch“ etwa würden einen Großteil der potenziellen weiblichen Bewerberinnen abschrecken, sagt Smith. „Nicht, weil Frauen weniger analytisch wären oder sich selber als nicht analytisch wahrnehmen, sondern aufgrund ihrer weiblichen Sozialisation sich unbewusst bei solch einer Anforderung unpassend fühlen.“ Inklusive Sprache in den Job-Annoncen führe nachweislich zu mehr Bewerbungen bislang unterrepräsentierter Gruppen. Laut einer US-Studie konnten Unternehmen diesen Anteil damit um 42 Prozent steigern. Der Ansatz von Inklusion in einer digital Welt muss somit bereits weit vor dem eigentlichen Eintritt stattfinden.
Im Wechselspiel von Innovation und Digitalisierung nimmt auch eine diverse Unternehmenskultur eine entscheidende Rolle ein, sagt Prof. Anabel Ternès von Hattburg. „Vielfalt in jeglicher Richtung ist wichtig“, meint die Unternehmerin und Hochschullehrerin. „Viele Perspektiven zu verstehen und ihnen Raum zu geben“ sei eine wichtige Voraussetzung, um ein Klima der Innovation zu schaffen.
Ternès von Hattburg empfiehlt Unternehmen eine Abkehr von klassischen, hierarchischen und allzu festgelegten Strukturen. „Es ist wichtig, Freiräume zu gewähren. Das bedeutet auch: Freiräume, zum Scheitern“. In Europa und Deutschland sei diese „Kultur des Scheiterns“ bislang nur wenig ausgeprägt. Doch sei sie eine wesentliche Voraussetzung für Agilität – dafür „schnell, flexibel und offen auf neue Ideen und Entwicklungen zu reagieren“. Die Digital-Expertin plädiert für ein „Weg von klassischen Abteilungen, hin zu kleineren Teams, die projektorientiert arbeiten“.
Digitalisierung könne ein wichtiger Teil dieses Prozesses sein. „Dafür muss man lernen, in einer Web-Atmosphäre zu agieren, die nicht immer perfekt ist“. Allerdings dürfe „Agilität auch nicht mit Chaos verwechselt werden“. Man brauche klare Regeln und Verantwortungen, die ernst genommen würden.
In anschließenden Breakout-Sessions wurden die Themen diskutiert und vertieft. Dabei kam auch immer wieder die aktuelle Situation der corona-bedingten Home-Office-Arbeit zur Sprache. Dass Videokonferenzen auch ein Fenster ins private Leben von Kolleg:innen und Führungskräften sind, sieht Accenture-Manager Ising positiv. „Von dieser größeren Offenheit können wir profitieren. Wir haben jetzt die Chance, viele Dinge zu verändern. Wir werden morgen sicher nicht wieder ins normale Office von vor Corona zurückkehren, sondern in eine hybride Arbeitswelt.“